Studieren trotz KI? Ja, aus drei Gründen

Seit der Veröffentlichung von ChatGPT taucht im Internet häufig die Frage auf, ob sich ein Studium noch lohnt:

  • ‚Was studieren im Zeitalter von KI?‘ (Quelle: Reddit)
  • ‚Lohnt es sich in Zeiten von KI noch, Informatik zu studieren?‘ (Quelle: Quora)
  • ‚Wie seht ihr den Einfluss von KI auf typische BWL-Berufe wie Controller, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Marketingexperte etc.? Wird es diese Berufe in Zukunft noch in signifikanter Zahl geben?‘ (Quelle: WiWi-TReFF)
  • ‚Meint ihr, es macht längerfristig noch Sinn, ein Studium zu betreiben, z.B. Jura? Ein Jurastudium dauert etwa fünf Jahre, dann kommt noch das Referendariat. Das ist eine lange Zeit, und erste Erfolge, die «theoretische» Jobs überflüssig machen können, werden bereits verzeichnet. Werden die typischen juristischen Berufe (insbesondere Anwälte, Richter) eurer Einschätzung nach in den nächsten (wie vielen?) Jahren automatisiert werden können / werden?‘ (Quelle: Studis Online)

Unsere Einschätzung dazu ist klar: Ja, ein Studium lohnt sich noch!

Erstens lernst du durch ein Studium die Fachkenntnisse, die es dir später ermöglichen, deinen Beruf – in Zusammenarbeit mit KI-Systemen – effektiv auszuführen.

Zweitens erhältst du durch ein Studium Zugang zu Berufen, der dir ohne passenden Studienabschluss verwehrt bleibt.

Drittens werden aktuell viele Studiengänge um KI-Kurse erweitert, um die Studierenden auf eine Arbeitswelt in Zeiten von KI vorzubereiten (siehe graue Beispiel-Kästen im folgenden Kapitel). Dadurch kannst du im Studium wertvolle KI-Kompetenzen erwerben.

Studieren in Zeiten von KI

Für diese Berufsfelder brauchst du trotz KI ein Studium

Um in den folgenden Berufsfeldern zu arbeiten, wirst du auch nach der Einführung von KI noch ein Studium brauchen:

Zum einen musst du die für diese Berufe relevanten Theorien und Konzepte kennen. Diese lernst du im Studium.

Außerdem sind diese Berufsfelder oft gesetzlich reguliert. Du darfst daher nur in diesen Berufsfeldern arbeiten, wenn du einen entsprechenden Studienabschluss erworben hast.

Bau- und Ingenieurwesen

Mit KI-Systemen können z. B.

  • Entwürfe und Designs optimiert,
  • Vorhersagen über Materialverhalten getroffen und
  • potenzielle Schwachstellen in Entwürfen und Designs identifiziert werden.

Allerdings werden weiterhin menschliche Architekten und Architektinnen bzw. Ingenieure und Ingenieurinnen nötig sein, um

  • die KI-Systeme einzurichten und zu steuern sowie
  • die von der KI generierten Ergebnisse zu interpretieren.

Die dafür notwendigen Fähigkeiten lernst du in einem Studium.

Beispiel: KI im Bau- und Ingenieurwesen
An der RWTH Aachen wurde das ‚KI-Center‘ mit dem Ziel eingerichtet, die Forschung und Ausbildung im Bereich KI in den Ingenieurwissenschaften (und in anderen Bereichen) zu intensivieren. (Quelle: RWTH Aachen)

Freie Wirtschaft

In anspruchsvollen Berufsfeldern in der freien Wirtschaft, wie dem Controlling, der Steuerberatung und der Wirtschaftsprüfung, ist traditionell ein Studium notwendig.

Die Einführung von KI-Tools in diesen Berufsfeldern wird wahrscheinlich unter anderem zu folgenden Veränderungen führen:

  • Repetitive Aufgaben werden automatisiert.
  • Trends und Anomalien in Finanzdaten werden durch KI identifiziert.
  • Steuererklärungen werden automatisch generiert.

Um die KI-Tools zu steuern und deren Ergebnisse zu überprüfen, werden aber weiterhin menschliche Fachkräfte benötigt werden.

Die dafür notwendigen Kompetenzen lernst du in einem wirtschaftswissenschaftlichen Studium.

Beispiel: KI im Studium der Wirtschaftswissenschaften
An der Uni Würzburg können Studierende der Wirtschaftswissenschaften ihre Abschlussarbeit am ‚Lehrstuhl für Künstliche Intelligenz im Unternehmen‘ schreiben.

Beispiel-Thema einer vergangenen Abschlussarbeit:

  • AI-Systems for the Control of Urban Sewage Networks: Analysis of Market Potentials
  • (= KI-Systeme zur Steuerung städtischer Abwassernetze: Analyse von Marktpotenzialen)

(Quelle: Uni Würzburg)

Juristische Berufe

KI-Tools werden aktuell unter anderem für folgende Aufgaben eingesetzt:

  • Automatisierte Durchsicht von Verträgen
  • Analyse großer Mengen an Gerichts- und Fallakten
  • Prognosen, wie ein Richter oder eine Richterin entscheiden wird

Dennoch werden weiterhin menschliche Fachkräfte im Bereich Jura nötig sein. Denn Juristen und Juristinnen haben eine berufliche Verpflichtung gegenüber ihren Klienten und Klientinnen. Diese kann nicht einfach auf eine Maschine übertragen werden.

Zudem kommen KI-Systeme (noch) nicht an die menschliche Intuition und Kreativität heran, die für juristische Diskurse benötigt werden.

Die dafür notwendigen Kompetenzen lernst du im Jurastudium.

Beispiel: KI im Jura-Studium
An der Uni Leipzig können Studierende an zwei Semesterwochenstunden am Ausbildungsprojekt LEADER (= Leipziger Ausbildungsprogramm zu Digitalisierung und Recht) teilnehmen.

Mit dem Projekt sollen Studierende auf die Herausforderungen und Chancen der Digitalisierung für juristische Berufe vorbereitet werden.

(Quelle: Uni Leipzig)

Lehramt

Mit KI-Technologien können zum Beispiel

  • personalisierte Lernmaterialien erstellt,
  • Tests korrigiert,
  • Lernfortschritte überwacht und
  • individuelle Bedürfnisse der Lernenden identifiziert werden.

Allerdings werden weiterhin menschliche Lehrkräfte benötigt werden, um

  • auf die sozialen und emotionalen Bedürfnisse der Lernenden einzugehen,
  • die Fähigkeit zum kritischen Denken zu fördern,
  • Werte und soziale Kompetenzen zu vermitteln sowie
  • Vorbildfunktionen auszuüben.

Die dafür notwendigen Kompetenzen lernst du im Lehramtsstudium und im darauf aufbauenden Referendariat.

Beispiel: KI im Lehramtsstudium
An der Uni Konstanz wird seit dem Sommersemester 2023 das Seminar ‚KI als Werkzeug im Lehr-Lern-Kontext‘ für Lehramtsstudierende angeboten.

Ziel des Seminars ist es, dass Lehramtsstudierende lernen, ‚wie Künstliche Intelligenz in Schule und Unterricht konstruktiv eingesetzt werden kann.‘

(Quelle: Uni Konstanz)

Medizinische Berufe

Mit KI-Technologien können zum Beispiel Muster in medizinischen Bilddaten erkannt werden, die für das menschliche Auge schwer zu erfassen sind.

Zudem können mit KI große Mengen (‚Big Data‘) an Patientendaten analysiert, Prognosen erstellt und personalisierte Behandlungspläne entwickelt werden.

Das Urteilsvermögen einer menschlichen Fachkraft können KI-Technologien aber nicht ersetzen.

Die Medizinerin Jenny Brandt bezeichnet menschliche Ärzte und Ärztinnen in diesem Zusammenhang als Filter hinter der KI. Dieser Filter wird immer notwendig bleiben.

Die hierfür notwendigen Kompetenzen werden im Medizinstudium vermittelt.

Beispiel: KI im Medizinstudium
An der Uni Bonn lernen Studierende, anonymisierte Röntgenbilder zu interpretieren und ihre Befunde anschließend mit den Befunden einer KI zu vergleichen. (Quelle: Uni Bonn)

Therapeutische Berufe

Mit KI-Tools können zum Beispiel personalisierte Therapie-Übungen und -Materialien erstellt werden, die auf den Daten der Patienten und Patientinnen basieren.

Zudem kann mit KI-Technologien der Therapiefortschritt überwacht und die Effektivität verschiedener Ansätze bewertet werden.

Die menschliche Komponente der therapeutischen Interaktion kann eine KI aber nicht ersetzen.

Therapeuten und Therapeutinnen müssen eine starke Beziehung zu ihren Patienten und Patientinnen aufbauen, ihre Probleme und Sorgen verstehen und eine sichere und unterstützende Umgebung für sie schaffen.

Diese Kompetenzen lernst du im Psychologiestudium sowie in der darauf aufbauenden Psychotherapie-Ausbildung.

Beispiel: KI im Psychologiestudium
An der Uni Münster gibt es zum Beispiel Lehrveranstaltungen zu den Themen

  • ‚Vorhersage von Persönlichkeit durch Maschinelles Lernen auf der Basis von Social Media-Daten‘ sowie
  • ‚KI-Therapieformen wie Internettherapie, App-basierte psychologische Interventionen und Virtual-Reality-Therapie‘

(Quelle: Uni Münster)

Wissenschaftliche Berufe

Mit KI-Systemen können in der Wissenschaft zum Beispiel

  • große Mengen (‚Big Data‘) an Daten verarbeitet,
  • Prozesse der Datenerhebung optimiert und automatisiert,
  • komplexe Muster erkannt und
  • Vorhersagen, die auf diesen Mustern basieren, generiert werden.

Das Urteilsvermögen einer wissenschaftlichen Fachkraft kann ein KI-System aber nicht ersetzen. Wissenschaftliche Fachkräfte haben ein tiefes Verständnis der theoretischen Grundlagen und Forschungsmethoden ihres Fachbereichs.

Dadurch können menschliche Fachkräfte zum Beispiel

Die dafür notwendigen Kompetenzen lernst du im Studium sowie in einer darauf aufbauenden Promotion.

Beispiel: KI im Studium
Im Master-Studiengang ‚Computing in the Humanities‘ an der Uni Bamberg werden traditionelle Forschungsmethoden der Geisteswissenschaften mit Forschungsmethoden aus den Bereichen KI und Informatik kombiniert. (Quelle: Uni Bamberg)

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Für diese Berufsfelder ist ein Studium manchmal weniger wichtig

Neben den oben genannten Berufsfeldern gibt es auch jene, für die ein Studium manchmal weniger wichtig ist:

Informatik und Programmieren

Durch KI-Systeme werden Teilbereiche des Programmierens, vor allem repetitive Aufgaben, zunehmend automatisiert.

Aus den folgenden Gründen werden jedoch weiterhin menschliche Fachkräfte im Bereich Informatik und Programmieren nötig sein:

Erstens: KI-Systeme müssen konzipiert, entwickelt, gewartet und verbessert werden. Dazu werden menschliche Fachkräfte benötigt.

Zweitens: Die Technologiebranche wächst immer weiter. Dadurch entstehen immer neue Nachfragen nach Arbeitskräften, selbst wenn einige Bereiche automatisiert werden.

Ein Berufseinstieg im Bereich Informatik und Programmieren ist grundsätzlich ohne universitären Studienabschluss möglich (z. B. nach Besuch eines Programmierkurses).

Aus den folgenden Gründen kann ein Studium dennoch sinnvoll sein:

  • Komplexe Inhalte werden in einer sinnvoll strukturierten Reihenfolge vermittelt.
  • Bei Motivationstiefs hilft ein Studium, weiterzumachen.
  • Zusammenarbeit mit anderen Studierenden ermöglicht den Erwerb von ‚Soft Skills‘.
  • In internationalen Unternehmen werden Personen mit einem Bachelor- oder Masterabschluss oft bevorzugt.

Journalismus

Mit KI-Systemen können mittlerweile in kurzer Zeit

  • Agenturmeldungen erstellt und sogar
  • komplexe journalistische Texte geschrieben werden.

Es ist wahrscheinlich, dass dadurch Arbeitsplätze im Journalismus wegfallen werden.

Dennoch kann eine KI die menschliche Intuition und Kreativität nicht ersetzen. Menschliche Journalisten und Journalistinnen werden nach wie vor besser darin sein,

  • relevante Themen für die Berichterstattung auszuwählen,
  • zu entscheiden, wie diese Themen präsentiert werden sollen und
  • die menschliche Dimension einer Geschichte einzufangen.

Um als Journalist oder Journalistin zu arbeiten, brauchst du nicht unbedingt einen Studienabschluss im Bereich ‚Journalismus‘.

Allerdings haben die meisten Journalisten und Journalistinnen ein Studium abgeschlossen ( z. B. in Politik-, Wirtschafts- oder Kulturwissenschaften).

Fachkenntnisse in diesen oder anderen Bereichen verbessern die Chancen auf dem Arbeitsmarkt stark.

Webdesign

Mit KI-Systemen kann die Erstellung von Site-Layouts, Visuals und Texten zunehmend automatisiert werden.

Bisher sind aber nur Menschen dazu in der Lage, durch Kreativität eine wirklich neue Website zu erstellen.

Ein Berufseinstieg im Bereich Webdesign ist grundsätzlich ohne universitären Studienabschluss möglich. Ein Portfolio mit gut konzipierten Websites zählt hier mehr als ein Studienabschluss.

Ob es für dich sinnvoll ist, Webdesign zu studieren, hängt daher davon ab, wie du am besten lernst.

Wenn es dir hilft, eine vorgegebene Struktur zu haben und Feedback zu erhalten, ist ein Studium geeignet.

Wenn du dir Inhalte gerne selbst beibringst, kann es sinnvoll sein, dir das Wissen ohne Studium anzueignen (z. B. durch Online-Kurse).

Was du in Zeiten von KI studieren solltest

Wir empfehlen dir, das zu studieren, was dich am meisten interessiert.

Dadurch wirst du im Studium neugieriger sein und mehr lernen, als wenn du etwas studierst, weil du denkst, dass es deine Jobaussichten erhöht.

Wir verstehen deine Sorge, dass sich durch KI-Systeme die Berufsfelder verändern, auf die dich dein Studium vorbereitet.

Allerdings werden die Auswirkungen von KI an vielen Hochschulen intensiv diskutiert und die Studiengänge um KI-Themen erweitert.

Du kannst daher vor dem Beginn eines Studiums recherchieren, ob an der Hochschule, für die du dich interessierst, Kurse zum Thema KI angeboten werden (siehe graue Beispiel-Kästen im Kapitel Für diese Berufsfelder brauchst du trotz KI ein Studium).

Dadurch kannst du einen Bachelorstudiengang auswählen, in dessen Studienverlauf auch Inhalte zum Thema KI vorgesehen sind.

Häufig gestellte Fragen

Warum sollte ich trotz KI noch studieren?

Du solltest trotz KI noch studieren, weil du in einem Studium relevante Fachkenntnisse erwirbst, die es dir später erlauben, deinen Beruf – in Zusammenarbeit mit KI-Systemen – effektiv auszuführen.

Außerdem erhältst du durch ein Studium Zugang zu Berufen, der dir ohne passenden Studienabschluss verwehrt bleibt.

Schließlich werden aktuell viele Studiengänge um KI-Kurse erweitert. Dadurch kannst du dich im Studium auf eine Arbeitswelt in Zeiten von KI vorbereiten.

Was soll ich in Zeiten von KI studieren?

Wir empfehlen dir, trotz KI das zu studieren, wofür du dich am meisten interessierst.

Dadurch wirst du im Studium neugieriger sein und mehr lernen, als wenn du etwas studierst, weil du denkst, dass es deine Jobaussichten erhöht.

Lohnt es sich in Zeiten von KI noch, Informatik zu studieren?

Ja, ein Informatikstudium lohnt sich trotz KI noch.

KI-Systeme müssen designt, programmiert, instand gehalten und optimiert werden. Dazu werden menschliche Informatiker und Informatikerinnen benötigt.

Zudem wächst die Technologiebranche immer weiter. Dadurch entstehen immer neue Nachfragen nach Arbeitskräften, selbst wenn einige Bereiche durch KI-Tools automatisiert werden.

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Solis, T. (2024, 05. September). Studieren trotz KI? Ja, aus drei Gründen. Scribbr. Abgerufen am 22. November 2024, von https://www.scribbr.ch/ki-tools-nutzen-ch/studieren-trotz-ki/

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Tobias Solis

Tobias studied Music, History, and European Studies in Berlin, Regensburg, and Madrid. After several years of teaching, he now enjoys writing about complex topics regarding language, citation, and AI.