Soziale Erwünschtheit verstehen und reduzieren

Soziale Erwünschtheit ist die Tendenz von Teilnehmenden an Studien, sich auf eine Art und Weise zu präsentieren, die vermeintlich sozial akzeptierter ist als die Realität.

Wir passen hierbei, meist unbewusst, unser Verhalten oder unsere Antworten an, um ein vorteilhaftes Bild von uns darzustellen oder negative Beurteilungen zu vermeiden.

Soziale Erwünschtheit kommt nicht nur in Studien, sondern auch im Alltag vor. Gerade wenn es um sensible oder kontroverse Themen geht, zu denen unsere Reaktion nicht akzeptiert oder sogar missbilligt werden könnte, tendieren wir zu sozialer Erwünschtheit.

Beispiel: Soziale Erwünschtheit 
Teilnehmende einer Studie werden gefragt, ob sie jemals alkoholisiert Auto gefahren sind. Viele geben fälschlicherweise an, dies nie getan zu haben, um kein schlechtes Bild abzugeben.

Soziale Erwünschtheit ist eine Art der Antwortverzerrung. Sie führt dazu, dass die Beobachtungen in einer Studie von der Wirklichkeit abweichen. Das kann die Ergebnisse beeinflussen und sollte deshalb möglichst vermieden werden.

So tritt soziale Erwünschtheit auf

Soziale Erwünschtheit kann in verschiedensten Situationen vorkommen und unterschiedliche Gründe haben.

Häufig spricht man in der empirischen Forschung von sozialer Erwünschtheit. Dies betrifft das Antworten bei Umfragen oder Interviews, aber auch das Verhalten in Gruppen, z. B. bei einer teilnehmenden Beobachtung.

Sie tritt jedoch auch im Alltag auf.

Unter einigen Umständen neigen Menschen mehr zu sozialer Erwünschtheit als unter anderen. Gerade wenn es deutliche soziale Normen oder Erwartungen gibt, nach denen wir uns richten, legen wir sozial erwünschtes Verhalten an den Tag.

Hier tendieren wir zur sozialen Erwünschtheit
Bereich Beispiele Gestellte Frage
Persönliche Eigenschaften Aggressivität,

Ehrlichkeit,

Ängstlichkeit

Wie häufig lügst du?
Verhalten Wahlverhalten, Alkoholkonsum, rechtswidriges Verhalten,

Spendenverhalten

Hast du jemals etwas gestohlen?
Themen Sensibles Thema, persönliches Thema, politische Orientierung Welche Partei hast du gewählt?

Soziale Erwünschtheit zeigt sich in Form von ‚Overreporting‘ und ‚Underreporting‘.

Bei Overreporting wird sozial erwünschtes Verhalten übertrieben oder in einem hohen Maße angegeben, das nicht der Realität entspricht.

Bei Underreporting wird sozial unerwünschtes Verhalten untertrieben.

Beispiel: Overreporting und Underreporting
Overreporting: Bei der Frage, wie viel Geld sie an gemeinnützige Organisationen spenden, geben Personen eher mehr an, als der Wahrheit entsprechen würde.

Underreporting: Wenn Personen gefragt werden, ob sie manchmal Auto fahren, nachdem sie Alkohol getrunken haben, würden die meisten Befragten dies verneinen oder bei der Angabe untertreiben.

Möchtest du eine fehlerfreie Arbeit abgeben?

Mit einem Lektorat helfen wir dir, deine Abschlussarbeit zu perfektionieren.

Neugierig? Bewege den Regler von links nach rechts!

Zu deiner Korrektur

4 Arten von sozialer Erwünschtheit und ihre Gründe

Du kannst 4 Arten der sozialen Erwünschtheit unterscheiden:

Es gibt nicht immer eine klare Grenze zwischen diesen 4 Arten.

Es lässt sich z. B. nicht immer zwischen bewussten und unbewussten Prozessen unterscheiden.

Außerdem kann eine Vermischung mehrerer Arten vorliegen, z. B. soziale Erwünschtheit, die unbewusst in einer spezifischen Situation vorkommt.

Deshalb sollten diese Kategorien nicht als klare Abgrenzung, sondern als Verständnis- und Einordnungshilfen verstanden werden.

Bewusste soziale Erwünschtheit

Manchmal verhalten wir uns bewusst sozial erwünscht und passen unsere Aktionen oder Antworten an.

Einer der Gründe dafür ist die Selbstdarstellung. Wir möchten ein bestimmtes Bild der eigenen Person vermitteln oder einen guten Eindruck machen.

Unbewusste soziale Erwünschtheit

Häufig ist uns der Einfluss, den soziale Erwünschtheit auf uns hat, nicht direkt bewusst.

Der Grund ist zum Beispiel, (unbewusst) die Erwartungen anderer treffen zu wollen.

Soziale Erwünschtheit kann jedoch auch in Form von Selbsttäuschung auftreten, gerade wenn es um unser Selbstbild geht. Denn dieses ist oft positiver als die Realität.

Bei sozialer Erwünschtheit lässt sich also zwischen der Täuschung anderer und der Selbsttäuschung unterscheiden.

Situationsspezifische soziale Erwünschtheit

Soziale Erwünschtheit ist oft situationsabhängig. Das heißt, dass wir in einer bestimmten Situation mehr sozialer Erwünschtheit unterliegen als in anderen.

Beispiel: Situationsspezifische soziale Erwünschtheit
Du befragst Teilnehmende einer Studie zu ihren Gewohnheiten beim Kauf von Klamotten. Einige werden in einer Gruppendiskussion gefragt, andere einzeln.

In der Gruppendiskussion behaupten die meisten, sie würden sehr umweltbewusste Kaufentscheidungen treffen.

Bei der persönlichen Befragung fallen die Antworten anders aus. Viele geben zu, ihre Kleidung bei Fast-Fashion-Marken zu kaufen.

Das könnte daran liegen, dass Teilnehmende im Dasein von anderen zu sozialer Erwünschtheit neigen. Somit sind ihre Antworten situationsbedingt.

Um dies zu vermeiden, kannst du Teilnehmende einzeln und am besten anonym oder online befragen.

Ein Grund hierfür ist die Angst vor negativen Konsequenzen oder Exklusion. Deshalb tritt soziale Erwünschtheit unter einigen Umständen mehr auf als unter anderen. Hier sind bestimmte soziale oder kulturelle Normen im Spiel.

Jedoch wirken sich auch die Befragungsumstände auf das Ausmaß sozialer Erwünschtheit aus: Bei öffentlichen Umfragen neigen wir mehr dazu als bei anonymen.

Situationsübergreifende soziale Erwünschtheit

In einigen Bereichen und zu einem gewissen Grad ist die Tendenz zu sozialer Erwünschtheit situationsübergreifend. Das heißt, dass sie nicht von der Situation, sondern von konstanten Faktoren abhängt.

Ein Grund hierfür ist zum Beispiel, ob uns die Meinung oder Beurteilung anderer wichtig ist. In dem Falle wären wir vielleicht anfälliger für den Einfluss sozialer Normen. Deshalb wird soziale Erwünschtheit von einigen als Persönlichkeitsmerkmal beschrieben.

Soziale Erwünschtheit in wissenschaftlichen Arbeiten

In der empirischen Forschung kommt soziale Erwünschtheit häufig vor. Immer dann, wenn du Teilnehmende befragst oder beobachtest, solltest du dir der möglichen sozialen Erwünschtheit bewusst sein.

Sowohl in der quantitativen als auch in der qualitativen Forschung kann soziale Erwünschtheit deine Forschungsergebnisse beeinflussen.

Hier kann soziale Erwünschtheit beim wissenschaftlichen Arbeiten auftreten:

Soziale Erwünschtheit ist eine Art der Antwortverzerrung. Das heißt, dass sie die Ergebnisse beeinflusst, weil sie diese systematisch verzerrt. Die Ergebnisse entsprechen so weniger der Realität. Dies stellt die Validität und die Reliabilität deiner Studie infrage.

Du solltest deshalb versuchen zu vermeiden, dass sich soziale Erwünschtheit auf deine Ergebnisse auswirkt.

So verhinderst du soziale Erwünschtheit

Da soziale Erwünschtheit zu systematischen Fehlern in den Ergebnissen führen kann, solltest du versuchen, sie zu umgehen.

Auf zwei Arten kannst du versuchen zu verhindern, dass soziale Erwünschtheit Einfluss auf deine Ergebnisse nimmt:

  1. Verhindern, dass soziale Erwünschtheit überhaupt auftritt
  2. Verhindern, dass sich soziale Erwünschtheit auf die Ergebnisse auswirkt

Verhindern, dass soziale Erwünschtheit überhaupt auftritt

Am besten ist es, die Tendenz zu sozialer Erwünschtheit in deiner Studie von vornherein zu verringern oder sogar zu verhindern. Dazu solltest du die Umstände und Fragen deiner Studie so optimieren, dass Teilnehmende weniger zur sozialen Erwünschtheit neigen.

Dies ist nicht leicht, es gibt jedoch ein paar Tipps, mit denen die Wahrscheinlichkeit verringert werden kann, dass Teilnehmende zu sozialer Erwünschtheit neigen.

Hierfür kannst du die Befragungsumstände der Studie, aber auch die Fragen selbst anpassen und optimieren.

Tipps zum Verringern des Auftretens der sozialen Erwünschtheit
Befragungsbedingungen Wie Beispiel
Befragungsumstände kontrollieren
  • Anonymität gewährleisten
  • Physische Distanz herstellen
Befragung im Internet oder per Antwort im Umschlag durchführen
Zeitdruck einführen Fragen unter Zeitdruck beantworten lassen Den Befragten einen Zeitrahmen für die Beantwortung eines Fragebogens vorgeben.

So greifen sie auf intuitive Antworten zurück und denken weniger darüber nach, was erwünscht ist.

Interviewende auswählen Interviewende aussuchen, die zur Objektivität der Studie beitragen
  • Wenn Teilnehmende zu Minderheiten befragt werden, sollte der/die Interviewende nicht dieser Minderheit angehören.
  • Der/die Interviewende sollte objektiv reagieren und nicht über das Gesagte urteilen.
Fragen gut formulieren Fragen sollten

  • nichts suggerieren
  • weniger extrem formuliert sein
  • nicht auf die Erwartung der Forschenden schließen lassen
  • ‚Was hältst du von x?‘ statt ‚Findest du nicht auch, dass x?‘
  • ‚Wie impulsiv bist du?‘ statt ‚Wie aggressiv bist du?‘

Verhindern, dass sich soziale Erwünschtheit auf die Ergebnisse auswirkt

Zusätzlich dazu, dass du versuchst, das Vorkommen sozialer Erwünschtheit zu verhindern, kannst du messen, inwiefern sie aufgetreten ist. Dadurch kannst du den Einfluss sozialer Erwünschtheit auf die Ergebnisse verringern.

Hierzu wurden sogenannte Soziale-Erwünschtheits-Skalen (Englisch: social desirability scales) entwickelt. Diese messen, wie sehr die befragte Person dazu neigt, sozial erwünschte Antworten zu geben.

Definition: Social Desirability Scale
Was: Misst die Tendenz der befragten Person, Antworten zu geben, die durch soziale Erwünschtheit beeinflusst sind.

Wie: Die Fragen dieser Skala werden zusammen mit dem restlichen Fragebogen gestellt. Sie beinhalten Fragen zu Situationen, in denen Menschen zu sozialer Erwünschtheit neigen.

Beispiel: ‚Hast du jemals gelogen?‘ oder ‚Hast du schon einmal eine Vorlesung geschwänzt?‘. Dass jemand in Wahrheit auf beide Fragen mit ‚nein‘ antworten kann, ist relativ unrealistisch.

Wer also auf dieser Skala häufig sozial erwünschte Antworten gibt, neigt wahrscheinlich mehr zu sozialer Erwünschtheit.

Wenn das Ergebnis der Sozialen-Erwünschtheits-Skala zeigt, dass die Person zu sozialer Erwünschtheit neigt, gibt es drei Möglichkeiten:

  1. Besonders extreme Antworten statistisch kontrollieren.
  2. Diese Person von der Studie ausschließen und nicht in die Datenanalyse einbeziehen.
  3. In deiner Diskussion darüber reflektieren, wie sich soziale Erwünschtheit auf die Ergebnisse ausgewirkt haben kann, und dementsprechend vorsichtig interpretieren.

Was ist dein Score?

Erfahre binnen 10 Minuten, ob du ungewollt ein Plagiat erzeugt hast.

  • 70+ Milliarden Internetquellen
  • 69+ Millionen Publikationen
  • Gesicherter Datenschutz

Zur Plagiatsprüfung

Andere Arten des Bias

Soziale Erwünschtheit ist Teil der Antwortverzerrungen (Englisch: response biases). Diese Verzerrungen (Biases) sind systematische Fehler, die sich auf die Ergebnisse deiner Studie auswirken können.

Andere Arten von Biases sind der Confirmation-Bias, der Hawthorne-Effekt und der Bias-Blind-Spot.

Confirmation-Bias

Der Confirmation-Bias ist die selektive Aufnahme von Informationen, die mit unserer eigenen Sichtweise übereinstimmen, während gegenteilige Sichtweisen ignoriert werden.

Dies kann bedeuten, dass wir uns nur auf solche Informationen fokussieren, die mit unseren Überzeugungen übereinstimmen, oder diese als bedeutsamer bewerten.

Hawthorne-Effekt

Wenn Personen ihre Verhaltensweisen anpassen, weil sie wissen, dass sie unter Beobachtung stehen, dann unterliegen sie dem Hawthorne-Effekt. Ein solch unnatürliches Verhalten kann bei Teilnehmenden an wissenschaftlichen Experimenten vorkommen.

Bias-Blind-Spot

Der Bias Blind Spot bedeutet, dass wir, selbst wenn wir über die Existenz eines Bias informiert sind, denken, wir würden diesem als Einzige nicht unterliegen. Dieser Bias kann bei den verschiedenen Arten der Biases vorkommen.

Häufig gestellte Fragen

Was ist soziale Erwünschtheit?

Soziale Erwünschtheit ist unsere Neigung, uns so zu präsentieren, dass wir ein vorteilhaftes Bild abgeben und negative Beurteilungen vermeiden, auch wenn unser Verhalten oder unsere Antworten nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmen.

Wo tritt soziale Erwünschtheit auf?

Soziale Erwünschtheit kommt nicht nur in Studien, sondern auch im Alltag vor, zum Beispiel bei Umfragen oder Interviews, aber auch beim Verhalten in Gruppen oder wenn wir wissen, dass wir beobachtet werden.

Gerade wenn es um sensible oder kontroverse Themen geht, tendieren wir zu sozialer Erwünschtheit.

Weshalb neigen Menschen zu sozialer Erwünschtheit?

Aufgrund des menschlichen Bedürfnisses zur Verbundenheit möchten wir negative Wertungen vermeiden und von anderen akzeptiert werden. Deshalb sind wir gerade in Situationen mit deutlichen sozialen Normen von sozialer Erwünschtheit betroffen.

Was ist ein Bias?

Ein Bias (z. B. soziale Erwünschtheit) ist eine Befangenheit oder Voreingenommenheit, die zur Verzerrung von Studienergebnissen führt. Dies sind systematische, oft unbewusste Tendenzen, die jeder Mensch beim Urteilen, Erinnern oder Wahrnehmen hat.

Diese Tendenzen sorgen dafür, dass wir in unserem Handeln, Denken oder Entscheiden auf bestimmte Art und Weise voreingenommen sind.

Welche Arten von Bias gibt es?

Verschiedene Arten von Bias sind der Confirmation Bias, der Hawthorne-Effekt, die soziale Erwünschtheit und der Bias-Blind-Spot.

Was ist soziale Erwünschtheit auf Englisch?

Soziale Erwünschtheit heißt auf Englisch ‚Social Desirability‘. Unsere Tendenz zu sozialer Erwünschtheit heißt dementsprechend ‚Social Desirability Bias‘. Die Skala, die soziale Erwünschtheit misst, heißt ‚Social Desirability Scale‘.

Diesen Scribbr-Artikel zitieren

Wenn du diese Quelle zitieren möchtest, kannst du die Quellenangabe kopieren und einfügen oder auf die Schaltfläche „Diesen Artikel zitieren“ klicken, um die Quellenangabe automatisch zu unserem kostenlosen Zitier-Generator hinzuzufügen.

Hasselbusch, L. (2023, 31. Oktober). Soziale Erwünschtheit verstehen und reduzieren. Scribbr. Abgerufen am 16. Dezember 2024, von https://www.scribbr.ch/methodik-ch/soziale-erwuenschtheit/

War dieser Artikel hilfreich?
Linda Hasselbusch

Linda ist gerade in den letzten Zügen ihres Bachelorstudiums in Psychologie an der Universität Amsterdam und interessiert sich besonders für Sozialpsychologie. Ihr Interesse an der Forschung möchte sie gerne mit euch teilen, sodass ihr vielleicht auch Spaß daran findet.